Sprachinsel Namdeutsch

Horst Simon

"Bahnhof" und mehr verstehen: mit Namdeutsch ist das in Namibia möglich

Das Deutsch, das Menschen in Namibia sprechen, interessiert die Sprachwissenschaft. Weshalb gerade Namdeutsch so spannend ist, erklärt der Linguist Horst Simon.

Herr Professor Simon, was macht den wissenschaftlichen Reiz des Namdeutschen aus?

Horst Simon: Unter allen sogenannten deutschen Sprachinseln, die wir weltweit kennen, finden wir in Namibia die stabilste und vitalste Gruppe von Menschen im Ausland, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Aktuell sind das 20.000 Personen, vor allem Nachfahren der Siedler aus Kolonialzeiten, aber auch Deutsche, die nach wie vor dorthin auswandern. Durch den von der Verfassung gestützten hohen Stellenwert der deutschen Sprache in Namibia haben die Deutschsprachigen dort Zugang zur deutschen Standardsprache – im Gegensatz zu den meisten Deutschstämmigen in Übersee, deren Deutsch oft auf den Dialekten ihrer Vorfahren basiert.

Namdeutsch: Interview mit Professor Horst Simon

Stefan Müller

Der DAAD-Alumnus Prof. Dr. Horst Simon lehrt Historische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin und ist gemeinsam mit Prof. Dr. Heike Wiese, Universität Potsdam, Co-Leiter des DFG-geförderten Projektes „Namdeutsch: Die Dynamik des Deutschen im mehrsprachigen Kontext Namibias“. Simon ist derzeit Mitglied im Beirat Germanistik des DAAD.

Sie beobachten, wie dieses Deutsch sich verändert – im Sinne einer neuen namibischen Varietät?

Genau. Einerseits ist es verblüffend, wie relativ nah das offizielle namibische Deutsch an unserer Standardsprache ist. Wenn Sie Texte einer deutschsprachigen namibischen Zeitung lesen, erkennen Sie kaum Auffälligkeiten. Andererseits gibt es viele Besonderheiten, sobald sich zwei Namibier mit Deutsch als Muttersprache unterhalten. Aber wie genau sind diese Sprachvarianten entstanden? Das wollen wir untersuchen.

Die einfachste Antwort wäre, dass Strukturen aus anderen Sprachen übernommen werden. Ähnliches beobachtet man bei Kiezdeutsch, der Jugendsprache, die sich in Wohngebieten mit hohem Migrantenanteil entwickelt hat.

Das spielt natürlich eine Rolle. Wer in Namibia Deutsch als Muttersprache spricht, beherrscht mindestens noch Englisch, die offizielle, und Afrikaans, die am weitesten verbreitete Umgangssprache. Wir glauben aber, dass man am sogenannten Namdeutschen noch einen anderen Mechanismus nachweisen kann: Unsere These ist, dass es sich bei vielen Varianten im Namdeutschen um Entwicklungen handelt, die ohnehin schon im Deutschen angelegt sind und gar nicht durch Übernahmen von Strukturen aus einer Kontaktsprache erklärt werden müssen. Sprachwandel tritt dann ein, wenn bestimmte soziokulturelle Bedingungen erfüllt sind, zum Beispiel Mehrsprachigkeit. Denn diese führt zu einer weniger normorientierten Sprachpraxis.

Und dies wollen Sie anhand des Namdeutschen nachweisen?

Richtig. Dazu sammeln wir vier Typen von Daten: freie Gespräche, formelles und informelles Sprechen und Schreiben, Einschätzungen über die Unterschiede zur deutschen Standardsprache und die Verwendung von spezifischen namibischen Sprach­varianten.

Dafür brauchen Sie sicher Unterstützung in Namibia?

Natürlich, ohne internationale Zusammenarbeit wäre das Projekt nicht möglich. Eine namibische Mitar­beiterin koordiniert die Aufnahmen und unterstützt uns auch in der späteren Auswertung des Materials. Außerdem kooperieren wir mit der Germanistik-Abteilung der University of Namibia, die im Rahmen eines DAAD-Förderprojekts in engem Austausch mit der Universität Duisburg-Essen steht.

Gibt es denn schon erste Ergebnisse?

Wir befinden uns noch in der Phase der Transkription, für Ergebnisse ist es deshalb noch zu früh. Besonders spannend wird sicher die Auswertung des Wechsels zwischen formellem und informellem Sprechen. Da ist Namdeutsch einzigartig, weil das Standarddeutsche einen so hohen Stellenwert hat und weil es immer noch die Sprache der gebildeten Oberschicht ist. Das ist auch das Besondere im Vergleich zu Kiezdeutsch, bei dem ähnliche Voraussetzungen für Sprachwandel gegeben sind, die Milieuzuordnung aber eine ganz andere ist.

Interview: Klaus Lüber

Das Interview mit Professor Simon ist zuerst im DAAD-Magazin LETTER auf Deutsch und Englisch erschienen.