„Wir müssen bedrängten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beistehen“

Andreas Paasch

Ulrich Grothus: „Weltweit werden Räume für freien wissenschaftlichen Austausch eingeschränkt“

Wie „Wissensdiplomatie“ Bildung, Wissenschaft und Politik verbindet, war unlängst Thema einer DAAD-Veranstaltung in Kooperation mit der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der Europäischen Union in Brüssel. Drei Fragen zum viel diskutierten Begriff der „Knowledge Diplomacy“ an Ulrich Grothus, den stellvertretenden Generalsekretär des DAAD.

Herr Grothus, der Begriff der Wissensdiplomatie, der „Knowledge Diplomacy“, ist noch recht neu, gewinnt aber mehr und mehr an Bedeutung. Was macht ihn aus?

Ulrich Grothus: Der Begriff fasst recht treffend zusammen, dass Lehre, Studium und Forschung in ihren unterschiedlichen Dimensionen für auswärtige Beziehungen genutzt werden können. Gerade in letzter Zeit wird vielen Menschen bewusst, dass Auslandsstudium, internationale Hochschulkooperationen und Forschungszusammenarbeit zwischengesellschaftliche Beziehungen vielleicht stärker prägen als zum Beispiel der internationale Kulturaustausch. Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Kommission an einer neuen Strategie zur Wissenschaftspolitik arbeitet, war es uns wichtig, mit der Brüsseler Veranstaltung zur Wissensdiplomatie unsere Erfahrungen vorzustellen. Zumal wir beobachten, dass weltweit Räume für freien wissenschaftlichen Austausch eingeschränkt werden. Wir müssen bedrängten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beistehen und auch Position beziehen, wenn in der Politik Wissenschaftsfeindlichkeit populär wird.

Wissensdiplomatie: Interview mit Ulrich Grothus

DAAD/Iris Haidau

Den Wandel im Blick: Ulrich Grothus vor den Gästen der Brüsseler Veranstaltung

Während der Brüsseler Veranstaltung wurden mehrere Beispiele für DAAD-Projekte zur Wissensdiplomatie vorgestellt, so auch die Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser (DWIH), die Teil der Initiative Außenwissenschaftspolitik des Auswärtigen Amts sind. Der DAAD hat erst vor Kurzem das Management aller DWIH übernommen. Was können diese Häuser leisten?

Die Deutschen Häuser für Wissenschaft und Innovation setzen einen wichtigen Kontrapunkt zu den vorhin beschriebenen Entwicklungen: Sie ermöglichen neue Räume für den wissenschaftlichen Austausch und die gemeinsame Arbeit an Innovationen. Und das an interessanten Orten auf der ganzen Welt: in Moskau, Neu-Delhi, New York, São Paulo und Tokio. Es ist ein gutes Zeichen, dass so Plattformen für internationale Kooperation entstehen und dass es viele Menschen gibt, die diese Plattformen nutzen. In Russland gibt es übrigens ein weiteres herausragendes Beispiel für den Erfolg von Wissensdiplomatie: das German-Russian Institute of Advanced Technologies (GRIAT) in Kasan, das 2014 unter Beteiligung des DAAD gegründet wurde, also zu einer Zeit, in der die deutsch-russischen Beziehungen durch den Krieg in der Ukraine bereits belastet waren. Diese deutsch-russische Universität hat bereits die ersten Graduierten hervorgebracht, und die Partner aus beiden Ländern engagieren sich sehr. Das zeigt, dass man gerade in der Wissenschaft Kanäle auch in Krisenzeiten offen halten und sogar weiterentwickeln kann.

Wissensdiplomatie: Interview mit Ulrich Grothus

DAAD/Iris Haidau

„Eindrucksvoller Bericht“: Die syrische DAAD-Stipendiatin Alaa Kanaieh spricht auf der Veranstaltung zur „Knowledge Diplomacy“

Was sind weitere Beispiele für solche Wege der Wissensdiplomatie?

Zu den in Brüssel vorgestellten Beispielen aus der DAAD-Arbeit zählt auch das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut (DKFI), das sich nach dem Friedensschluss zwischen der Farc-Guerilla und der kolumbianischen Regierung wichtigen, oft auch ganz konkreten Fragen widmet: zur Landverteilung, zur Wiedereingliederung von Guerilleros in das bürgerliche Leben, zur Übergangsjustiz nach dem Ende eines leidvollen, jahrzehntelangen Konflikts. Ein anderes Beispiel aus der Förderarbeit des DAAD ist das Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien“ („Leadership for Syria“, LfS), das syrischen Stipendiatinnen und Stipendiaten ein Studium in Deutschland ermöglicht und ihnen ein gesellschaftspolitisches Begleitprogramm bietet. Davon hat die DAAD-Stipendiatin Alaa Kanaieh in Brüssel sehr eindrucksvoll berichtet. Die Liste der Beispiele ließ sich fortsetzen, etwa mit Blick auf den Austausch des DAAD mit Kuba oder dem Iran. Entscheidend ist: Im Feld der Wissensdiplomatie ist es oft möglich, neue Wege zu beschreiten, selbst wenn die politische Situation sonst ziemlich ausweglos scheint.

Interview: Johannes Göbel (3. November 2017)